Bericht verfasst von Rolf Mägli, 12. Mai 2019

Die Belastungen von Herz, Kreislauf und Physis überhaupt durch einen Marathon sind bekannt. Meldungen über plötzlichen Herztod bei Läufen schrecken auf und verlangen nach Erklärungen. Sie werden den insgesamt positiveren Langzeiteffekten einer konsequent sportlichen Lebensweise gegenübergestellt: diese überwiegt die Risiken durch sportliche Extrembelastungen. Statistisch gesehen ist die Herztodsterblichkeit bei regelmässigem Training immer noch unter dem Schnitt der Durchschnittsbevölkerung. Dennoch bleiben Fragen, gerade nach einem Bericht des Schweizer Fernsehens im Mai 2019 zum Zürich Marathon. LSVB Teamarzt Rupprecht Lange beantwortet Fragen.

Der Beitrag im Sendegefäss PULS vom 4.Mai 2019 titelt: «Das Gesündeste an einem Marathon ist die Vorbereitung darauf» (https://www.srf.ch/news/panorama/42-2-kilometer-dauerstress-das-gesuendeste-an-einem-marathon-ist-die-vorbereitung-darauf).

PULS wollte wissen wie sich der Dauerstress eines Marathons auswirkt und begleitete einen 47-jährigen ambitionierten Läufer mit einer Zielvorstellung von unter drei Stunden. Die Laborwerte von Indikatoren zu Herz- Nieren und Muskelbelastung zeigten folgendes Bild:

Den letzten Effekt kennen wir alle sehr gut, indem beispielsweise das Treppablaufen mühsam ist. Hingegen sind Herz- und Nierenbelastung kaum wahrnehmbar.

Müssen wir uns nun Sorgen machen, können wir selber etwas tun, wie finden wir das richtige Mass für die Belastungen die wir uns als Hobby-LäuferInnen zumuten?

Unser LSVB Vereinskollege und Teamarzt Dr. Rupprecht Lange (er arbeitet im Bereich Diagnostik und Beratung in der Klinik für Kardiologie am Unispital Basel) beantwortet Fragen von Rolf Maegli zu diesem Bericht.

Frage: sind diese Ergebnisse überraschend, sind das neue Erkenntnisse?

Vorab vielen Dank für die einleitenden Worte und die Aufarbeitung des Berichtes der Sendung PULS. Es ist gut, Verunsicherungen aus der Welt zu schaffen, die durch Berichte und Sendungen mit den Schlagworten «Herzmuskelzellsterben», «Herzinfarkt», «Nierenversagen» etc. entstehen. Die Erkenntnis, dass exzessive Ausdauerbelastung Veränderungen am Herzen verursachen, ist alt. Dass sie auch im Akutstadium so gut messbar geworden ist hängt mit den modernen diagnostischen Verfahren zusammen. Hierzu zählt z.B. das Messen des hochsensitiven Troponins (siehe Grafik, hier erfolgt der Vergleich des Troponin-anstieges nach 10km (grau), ½-Marathon (orange) und Marathon (blau), (Circulation. 2019;139:709–711)).

Eine schöne Übersicht zum Thema ist 2018 im hochrangigen Journal «Circulatio» erschienen mit dem Titel Elevation of Cardiac Troponins After Endurance Running Competitions.

Man muss jedoch die Grössenordnungen sehen: Der im Bericht aufgezeigte Toponinwert nach einem Marathon ist um ein Vielfaches geringer als bei einem grossen Herzinfarkt.

Auch kann mit der Echocardiografie die Erschöpfung des Herzmuskels nach einem Wettkampf visualisiert werden. Hierbei zeigt sich vor allen Dingen, dass lange Wettkämpfe Belastungen des rechten Herzens verursachen:

Exercise-induced right ventricular dysfunction and structural remodelling in endurance athletes (André La Gerche, European heart Journal 2012)

Sport ist und bleibt eine körperliche Belastung und das gilt besonders für Ausdauersportarten. Es sind also keine neuen Erkenntnisse publiziert worden aber es lohnt sich, diese in einen grösseren Rahmen zu stellen: das Risiko der Belastung gegenüber den erwiesenen Vorteilen einer regelmässigen sportlichen Betätigung.

Muss man sich als Durchschnitts-Läuferin nun Sorgen um die gesundheitlichen Belastungen machen?

Die Analyse von plötzlichen Herztoden im Sport hat ergeben, dass in den meisten Fällen eine bisher unbekannte Veranlagung oder Schädigung des Herzens bestand.

Wichtig ist daher eine gründliche Vorabklärung, dass keine unerkannten Erkrankungen zum plötzlichen Herztod führen! Dazu kann auf der Webseite des Unispital Basel ein Flyer konsultiert werden, der Aufschluss gibt, wann eine Untersuchung zu empfehlen ist: https://www.unispital-basel.ch/ueber-uns/bereiche/medizin/kliniken-institute-abteilungen/kardiologie/patienten-und-besucher/behandlungsangebot/praevention-rehabilitation/kardiale-sportmedizin

Wird beispielsweise eine der folgenden Fragen mit JA beantwortet ist eine Vorabklärung angezeigt:

  1. Hat Ihnen jemals ein Arzt gesagt, sie hätten «etwas am Herzen» und Ihnen Bewegung und Sport nur unter ärztlicher Kontrolle empfohlen?
  2. Hatten Sie im letzten Monat Schmerzen in der Brust in Ruhe oder bei körperlicher Belastung (Anstrengung)?
  3. Haben Sie Probleme mit der Atmung in Ruhe oder bei körperlicher Belastung?
  4. Sind Sie jemals wegen Schwindel gestürzt oder haben Sie schon jemals das Bewusstsein verloren?
  5. Haben Sie Knochen-oder Gelenkprobleme, die sich unter körperlicher Belastung verschlechtern?
  6. Hat Ihnen jemals ein Arzt ein Medikament gegen hohen Blut- druck oder wegen eines Herz- oder Atemproblems verschrieben?
  7. Kennen Sie irgendeinen anderen Grund, warum Sie nicht körperlich/sportlich aktiv sein sollten?
  8. Nehmen Sie noch andere Medikamente ein? Welche?
  9. Ist Ihnen, aufgrund persönlicher Erfahrung oder ärztlichen Rat, ein weiterer Grund bekannt, der Sie davon abhalten könnte, ohne medizinische Kontrolle Sport zu betreiben?

Wenn diese Vorabklärung unauffällig ausfällt, besteht in keinster Weise Grund zur Sorge für «DurchschnittsläuferIn». Im Gegenteil: je mehr Bewegung, desto geringer die Sterblichkeit! In einer riesigen Kohortenstudie mit über 400.000 Teilnehmern konnte dies bestätigt werden: Bei einer täglichen Aktivität von 15 Minuten reduziert sich das Herztodrisiko um 14%, bei 60 Minuten schon um 29%. Diese Aktivitäten müssen nicht unbedingt harte Trainingseinheiten sein, es genügt eine Aktivität, sei es Laufen, Wandern, Radfahren etc.

Auch leistungsorientierte Sportler müssen sich nicht sorgen:

In einer Studie des BMJ (Survival of the fittest: retrospective cohort study of the longevity of Olympic medallists in the modern era BMJ 2012) konnte 2012 gezeigt werden, dass Hochleistungs-Ausdauersportler länger leben als Kraftsportler und Goldmedaillen-Gewinner länger als Bronzemedaillengewinner!

Es ist von Herzinfarkt-ähnlichen Herzmuskelschädigungen bei einem Marathon die Rede. Regenerieren sich Herzmuskeln wieder?

Leider ist über die den Umgang mit diesen Werten noch nichts bekannt. Man geht davon aus, dass zu häufiges und zu intensives Training mit zu wenig Erholungszeit und ggf. auch eine genetische Prädisposition zu einer vermehrten Fibrosierung (also bindegewebigen Umwandlung) des Herzmuskels führen kann. Diese mögliche Konsequenz ist aber aus folgendem Grund kaum relevant: es ist erwiesen dass Sportlern gegenüber Nicht-Sportlern länger überleben. Ob sich die Zellen regenerieren oder nicht, die Lebenserwartung eines Sportlers oder Sportlerin ist höher.

Gibt es Untersuchungen zu den plötzlichen Herztodesfällen im Sport? (dem Vernehmen nach ist ein Register im Aufbau)

Ja das gibt es und wird auch weiterhin dokumentiert. Eine Studie mit Auswertung von Daten mit über 3 Mio LäuferInnen an verschiedenen Marathons hat 26 Herztodesfälle ermittelt. Bemerkenswert ist, dass allein durch die Absperrung des Verkehrs während diesen Anlässen rechnerisch mehr Verkehrstodesfälle vermieden wurden:

Wie bei vielen Verhaltensweisen gilt auch im Sport: finde das richtige Mass. Wie finde ich mein persönliches Mass an realistischen Herausforderungen?

Diese Frage muss man natürlich individuell für jedermann und –frau entwickeln. Der Leitspruch von Paracelsus «All Ding’ sind Gift und nichts ohn’ Gift; allein die Dosis macht, dass ein Ding kein Gift ist» ist sicherlich matchentscheidend.

Wie oben aufgezeigt kann eine ärztliche Voreinschätzung dazu beitragen. Eine Leistungsdiagnostik und ein guter Trainer/Trainingsplan trägt zur hochwertigen und gesunden Trainingsgestaltung bei. Die Selbsteinschätzung ist keinesfalls zu unterschätzen. Wenn man krank ist, sollte man nicht einfach weitertrainieren. Es ist daher wichtig, dass sich jede und jeder immer wieder Gedanken um die aktuelle Verfassung und die Ambitionen macht.

Können die im Bericht aufgezeigten Nierenbelastung verglichen werden mit anderen körperlichen Belastungssituationen?

Ja zum Beispiel können schwerere Erkrankungen eine ähnliche Belastung darstellen oder man spürt starken Durst bei Wassermangel. Auch Medikamente und andere Gifte können die Nieren belasten. Sehr vereinfacht kann man sagen: Die Nierenwerte steigen immer an, wenn die Nieren zu wenig durchblutet und zu wenig gespült werden, oder wenn sie zu viel Gifte filtern müssen (dazu gehören auch Produkte nach Muskelzerstörung bei sehr starkem Muskelkater). Bei einem Marathon steht der Volumenmangel im Vordergrund, also das «Spülen der Niere».

 Bringt eine angepasste Hydration etwas?

Ja. Dann kommt es nicht zur sogenannten «prärenalen Niereninsuffizienz», die wahrscheinlich auch der Sportler im PULS hatte. Aber auch das muss mit Mass angegangen werden, denn man kann auch zu viel trinken und damit die Blutsalze durcheinanderbringen (siehe Paracelsus).

Welche Ratschläge für Marathonprojekte können aus medizinischer Sicht erteilt werden, was kann ich als Läuferin und Läufer selber tun, kann ich selber Warnsignale in meinem Befinden feststellen und darauf reagieren?

Das ist eine komplexe Frage, die in diesem Rahmen kaum umfassend zu beantworten ist. Etwas gilt jedoch grundsätzlich und zu jeder Zeit: Beschwerden und Leistungsverlust sind ernst zu nehmen! (bei Fragen kann die sportkardiologische & -medizinische Sprechstunde am Unispital 061 556 52 98 konsultiert werden)

Im Einzelnen können folgende Ratschläge sinnvoll sein:

A für die Vorbereitung

  •  Gesundheitscheck
  • gute Trainingsplanung (nicht immer gilt «viel hilft viel…«)
  • kein Sport bei Krankheit
  • Überlastungen vermeiden
  • ausreichend Regeneration und ausreichend Schlaf
  • gesunde Ernährung
  • kein Doping 😉

B unmittelbar vor Lauf

  • ausreichend essen und trinken
  • keine Medikamente, um es ins Ziel zu schaffen

C während des Laufes

  • Pace einhalten und ggf. Herzfrequenz kontrollieren, nicht jeder Tag ist ein guter…
  • ausreichend essen und trinken
  • auf den Körper «hören»

D nach dem Lauf

  • ausreichend Rehydrieren
  • ausreichend Regeneration vor dem nächsten Training und Wettkampf

Der Fernseh-Bericht zieht das Fazit, dass das Beste am Marathon die Vorbereitung darauf sei. Sollten wir LäuferInnen es so halten wie beim bekanntlich sehr effizienten Boxtraining und auf Wettkämpfe verzichten?

«Klares Jaein! «Extreme» – in dem Fall Wettkampfsport – bergen immer ein höheres Risiko als das «Mittelmass» (siehe oben: Todesfälle beim Marathon treten meistens am Ende des Laufes also bei Erschöpfung ein). Die Entscheidung für oder wider Wettkampf ist sehr persönlich – fast wie eine Frage zum Glauben – und muss daher von jedem selbst getroffen werden. Das Streben nach schneller, höher, weiter ist in den Menschen tief verwurzelt. Wer Lust auf Wettkampf hat und gesund ist, soll es meines Erachtens auch machen. Wahrscheinlich ist es wie «Glace essen» und «Rotwein trinken» – die Menge machts!»

Soweit also die beruhigenden Statements des Experten, herzlichen Dank!

Von Rupprecht Lange stammt übrigens auch noch folgender Beitrag: https://www.lsvb.ch/unsportlichkeit-bleibt-die-riskanteste-lebensweise/

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Aus meinen eigenen Erfahrungen möchte ich mitgeben: Sport soll eine Herausforderung sein. Sich selber realistische, aber auch herausfordernde Ziele zu setzen, diese hartnäckig zu verfolgen und dann auch zu erreichen, das verschafft eine grosse Freude und motiviert für alle Lebensbereiche. Werden die Ziele herausfordernd gesteckt, gehört auch die Erfahrung der eigenen Grenzen dazu. Das harte Durchbeissen um jeden Preis war einmal. Die Achtsamkeit im Umgang mit den eigenen Ressourcen ist eine Kernkompetenz für den sportlichen Erfolg. In diesem Sinne kann auch ein DNF im Palmares ein Zeichen der Stärke sein!

1 thought on “Marathon und Gesundheitsrisiken

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