Bericht verfasst von Tino Tauro

Arlesheim, 0400H, 0 km

Samstag, 12. Juni 2021, 4 Uhr. Mein Wecker reisst mich aus dem Schlaf. Langsam steh ich auf und ziehe meine Laufkleider an. Niels ist bereits gestartet, denke ich für mich. All das ist seine Idee. 100 Kilometer möchte er absolvieren, von Basel bis Biel. Ein paar Tage zuvor schau ich mir die Route an und sehe, dass ziemlich auf flachen, asphaltierten Strassen gerannt werden muss, um auf 100 km zu kommen.
Ganz nach dem Motto: «Wer es nicht versucht, hat schon verloren», starte ich meine GPS-Uhr um 4:25 in Arlesheim und Laufe los Richtung Therwil.

Therwil, 0515H, 8 km

05:15 Uhr, abgemacht bei Daniel, Freund von Niels fürs Kaffee. Ich werde von Carmen, Niels, Daniel und Delia, seiner besseren Hälfte begrüsst.
05:25 laufen wir zusammen los Richtung Aesch. Daniel hat auch vor bis nach Biel zu laufen. Carmen möchte 1/3 absolvieren und in Laufen mit dem ÖV zurück nach Basel fahren, denn am Nachmittag hat sie noch eine Reitstunde geplant.

Laufen, 0730H, 27 km

Wir geniessten den Sonnenaufgang kurz vor Aesch, und unterhalten uns unterwegs. Alles scheint super zu laufen. Die Gruppe hat sich mittlerweile kurz vor Laufen getrennt. Carmen und Ich vorne, weiter hinten Niels zusammen mit Daniel.
Die vorderste Gruppe erreicht Laufen und wir warten am Bahnhof bis die anderen aufschliessen. 20 Minuten später sehen wir sie am Horizont. Schlechte Nachrichten, Niels hat Knieschmerzen, und zwar solche die ein Weiterlaufen verunmöglichen. Wir raten ihm davon ab, es sind erst ca 30 Kilometer gemacht und es warten noch fast 67 weitere.

So leid es uns allen tut, er entscheidet sich für die vernünftige Variante und läuft nicht weiter. Schade, denn mit dem Kopf wäre Niels bis nach Biel gekommen und noch weiter, er ist mental sehr stark und würde niemals aufgeben. Carmen nimmt den nächsten Zug. Delia ist bereits mit dem Velo angekommen und unterstützt ihren Mann. Daniel und ich entscheiden weiter zu machen.

Delsberg, 0930H, 42 km

Wir kommen in Delsberg an, es wird langsam heiss. Unterwegs wurden wir durch Delia und der Tochter und dem Sohn von Daniel unterstützt. Sie sind auch per Fahrrad unterwegs. Wir machen eine 10-minütige Pause und verpflegen uns, bevor es weiter geht. Nächstes Ziel ist Moutier, dort warten die restlichen Longrun LSVBler auf uns. Sie starten um 11 Uhr.

Trail-Running

Trail-Running

Moutier, 1130H, 57 km

Kurz vor Moutier trennen sich die Wege von Daniel und mir. Er möchte noch eine Pause einlegen und bittet mich einfach weiterzumachen. Ich möchte ihn auch nicht zu sehr stressen, mir ist klar, dass bei solch langen Läufen die eigene Pace wichtig ist. Läufst eine Stunde lang zu schnell, wird dir das am Schluss noch weh tun.

Somit laufe ich weiter dem Tal entlang Richtung Moutier. Es ist eine asphaltierte Strasse. Es passt mir nicht, aber heute gilt es nicht schöne Trails zu sehen, heute zählt nur die Distanz zu meistern. Ich treffe auf Delia, sie weiss bereits von Daniels Entscheid alleine weiterzumachen und wartet noch auf ihn. Sie meldet mir auch, dass die LSVBler bereits los sind, denn «Toni holt uns scho uf». Weiss grad nicht ob das so stimmt, nach fast 60 km in den Beinen. Ich hatte bereits unterwegs mit Andy kommuniziert und ihm gesagt, sie sollen los, denn 40 Minuten auf mich warten bringts nicht.

In Moutier angekommen gönne ich mir ein Eis.

Bévilard, 1230H, 68 km

Bei jedem Kaff nehme ich Kontakt auf mit der Gruppe vor mir. Langsam merke ich wie sich der Abstand verkürzt, von 30 Minuten in Court, zu 25 Minuten in Sorvilier, zu 20 Minuten in Bévilard.

Ich merke, dass etwas Salziges mir guttun würde und geh mal in einen Coop rein, finde aber nur XXL Chips-Packungen und 5er Multipack-Erdnüssli, so ein Mist.

Die Nächste Agrola-Tankstelle ist aber um die Ecke, dort verschlinge ich ein Chäschüechli. Noch 10 Minuten Abstand beim letzten Dorf vor Tavannes. Ich sehe ein Schild: «Tavannes 3 km». Bin so frech und schreib der Gruppe: «Wir treffen uns in Tavannes.»

Tavannes, 1345H, 75 Km

Brigitte, Pia, Nadine, Aurimas und Andy sind alle am Bahnhof und waren so nett und haben gewartet. Brigitte spendiert mir ein Glace. Ich bekomme mit, dass alle nun ihr Longrun absolviert haben und nach Hause gehen. Andy macht zum Glück noch die restlichen 20 km mit mir bis nach Biel mit. Ich habe keine Infos von Daniel und hoffe ihm gehts gut. Eine kurze Pause und wir laufen weiter, Richtung Pierre Pertuis.

Toni am „Pierre Pertuis“ (einem natürlichen und künstlich erweiterten Felstunnel, durch den in römischer Zeit die Wegverbindung zwischen Aventicum und Augusta Raurica führte und dem heutigen Pass den Namen gab)

Toni am „Pierre Pertuis“ (einem natürlichen und künstlich erweiterten Felstunnel, durch den in römischer Zeit die Wegverbindung zwischen Aventicum und Augusta Raurica führte und dem heutigen Pass den Namen gab)

Péry, 1530H, 87 Km

Langsam, sehr langsam, Toni-langsam schleppe ich mich hinter Andy herlaufend Richtung Biel. Meine Füsse sind angeschwollen, die Zehennägel hämmern in meine Schuhspitzen schon seit Moutier. Ich spüre wie sich 1,2 oder auch 3 Blasen entwickelt haben. Ich denke nur noch «es ist nicht mehr weit.» Gleichzeitig aber: «Wo bleibt diese Tubelochschlucht?».

In Péry angekommen, gibt es eine Cola bevor wir uns weiter bis nach Frinvillier zwingen. Es ist heiss, ich mag nicht mehr, mein Kopf mag nicht mehr, meine Beine mögen nicht mehr, Andy mag meinem Gestöhne nicht mehr zuhören (zumindest denk ich das). Aber wie er halt ist, sagt nichts und zieht davon, zieht mich mit. Ich muss eingestehen, wenn er in Tavannes nicht mitgekommen wäre, hätte ich mein Handy gezückt und prompt auf der SBB-App ein Ticket Richtung Biel gekauft, ich war richtig fertig und am Ende meiner Kräfte.

Taubenlochschlucht, 1600H, 90 Km

Endlich sind wir da. Erfrischend. Familien sind unterwegs, sie singen, sie lachen und fragen sich nur wie der junge Mann hier so aussieht, der irgendwie noch versucht zu joggen. Der ältere Mann hinter ihm sieht doch noch so frisch aus, der Jüngere muss wohl ausser Form sein. So fühlte ich mich zumindest. Andy war am Fötelen, ich war am Mötzelen. Biel wollte und wollte nicht kommen. Wieso habe ich mir das nur angetan?

Tubenlochschlucht

Bielersee, 1630H, 96 Km

Endlich sind wir da. Biel…-Bözingen. Denn Ja, einmal raus aus der Schlucht, darf man noch gut 4-5 Kilometer laufen bis zum See. Ich gehe, ohne Schuhe mit Socken. Andy spaziert mit. Ich kann einfach nicht mehr, aber dieser See ist auch nach 20 Minuten nicht in Sichtweite, somit entscheide ich wieder zu laufen. Andy ist selbstverständlich auch dabei.

Plötzlich rufts von hinten: «Toni! Andy!». Es ist Daniel. Ich denk mir nur: «Wow, der hat aufgeholt». Kaum schliesst er sich uns an, erklärt er, er hätte ein Teil mit dem Velo gemacht und seine Frau sei halt gerannt, ganze 30 Kilometer. So flexibel ist halt seine Frau, Chapeau!

Wir kommen endlich ans Ufer an. Alle ziehen sich aus, ausser Daniel, der behält alles an, aber alle gönnen sich ein Erfrischungsbad. Das tut gut. Beim ausziehen meiner Schuhe und Socken sehe ich was ich meine Füsse angetan habe:

  • 3 Blasen (1 links seitlich, 1 links unten, 1 rechts seitlich)
  • 3 Zehennägel links blau, blutig, schmerzen
  • 2 Zehennägel rechts blau, blutig, schmerzen

Kaum gebadet, gehts zur Bar, es gibt ein frisches Bier und später noch Pizza. Andy und ich fahren spät abends mit dem Zug Richtung Basel. Daniel und seine Frau übernachten in Biel.

4 ist die Anzahl Kilometer die mir fehlte bis zur 100er Marke.

0 ist die Kraft, Energie und Motivation, die ich an dem Tag übrig hatte, um diese 4 Kilometer noch zu laufen. Ich war fix und fertig.

Irgendwann werde ich erneut eine Chance haben 100 Kilometer am Stück zu laufen

Bielersee

Bielersee

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